Stellungnahme des Stadtrates zum Postulat von Mariano Fioretti «Schluss mit der Verlegung von Bushaltestellen aus Nischen auf die Fahrbahn!», Sitzung des Grossen Stadtrates vom 3. September 2019
Mit seinem Postulat verlangt Grosstadtrat Mariano Fioretti die Prüfung, wie Bushaltestellen in Nischen statt auf den Fahrbahnen erhalten bzw. erstellt werden können, damit der Verkehr möglichst ungehindert fliessen kann. Der Stadtrat nimmt wie folgt Stellung:
Als einleitende Bemerkung ist festzuhalten, dass wohl niemand gerne hinter einem Bus wartet – egal mit welchem Fahrzeug man unterwegs ist – und dass es keine generelle Strategie gibt mit dem Ziel, Bushaltestellen auf die Fahrbahn zu verlegen.
Es liegt in der Verantwortung der Stadt Schaffhausen, Strassen und ihre Nebenanlagen bezüglich Verkehrssicherheit und Normenkonformität zu überprüfen. Im Zuge von Sanierungen sind Mängel zu beheben und allenfalls geometrische Anpassungen vorzusehen. Dabei sind alle Nutzergruppen und Ihre Bedürfnisse ausgewogen zu berücksichtigen. Dass alle Beteiligten und Nutzer ihre Bedürfnisse und Wünsche haben, ist uns bewusst und die zuständigen Fachstellen sind im Planungsprozess von Beginn an darauf bedacht, den bestmöglichen Kompromiss für alle Verkehrsteilnehmer zu finden. Einerseits wollen Fahrzeuglenker eine Ortschaft oder ein Quartier zügig durchqueren und andererseits möchten Anrainer im selben öffentlichen Raum sichere Fuss- und Veloverbindungen und insbesondere Schulwege, wenig Lärm und einen hindernisfreien Ein- und Ausstieg in den Bus. Die Abwägung der Interessen der verschiedenen Verkehrsteilnehmenden sowie der Anwohnerinnen und Anwohner ist bei der Planung von Verkehrsinfrastruktur-Projekten zentral und die Erarbeitung von Lösungen, die allen Anforderungen bestmöglich entspricht, jeweils eine grosse Herausforderung.
Grundlage für alle Planungen sind die gesetzlichen Vorgaben, die immer einzuhalten sind. So sind Bund, Kantone und Gemeinden als Verkehrsinfrastrukturbetreiber u.a. verpflichtet, öffentlich zugängliche Einrichtungen gemäss Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz BehiG, 151.3) bis zum 31. Dezember 2023 hindernisfrei auszubauen. Die Benachteiligung beim Zugang zu Bauten und Fahrzeugen ist zu verhindern, verringern oder beseitigen. Eine solche Benachteiligung liegt gemäss Art. 2 Abs. 3 des Behindertengleichstellungsgesetz vor, wenn der Zugang für Behinderte aus baulichen Gründen nicht oder nur unter erschwerenden Bedingungen möglich ist. Dem hindernisfreien Ausbau von Bushaltestellen ist besondere Beachtung zu schenken. Hindernisfreie Bushaltestellen erleichtern Menschen mit Mobilitätseinschränkungen aber auch Personen mit schwerem Gepäck oder mit Kinderwagen das Ein- und Aussteigen in den Bus.
Der hindernisfreie Ausbau von Bushaltestellen ist aufwendig und zum Teil sehr komplex. Die dazu vom Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute erarbeitete Norm SN 640 075 regelt, welche Grundsätze und Anforderungen bei hindernisfreien Verkehrsanlagen einzuhalten sind. Die Verbindlichkeit der Vorgaben wird in der Norm präzisiert:
- Zwingende Anforderungen sind in der Norm mit den Begriffen «muss/müssen», «ist/sind zu» oder ähnlichen Begriffen beschrieben.
- Anforderungen, welche «nach Möglichkeit» zu erfüllen sind, müssen erfüllt werden, wo immer dies machbar und verhältnismässig ist. Abweichungen müssen begründet werden können.
- «Vorzugsweise» bezeichnet bei mehreren möglichen Massnahmen jene, deren Erfüllung der Zielsetzung der Norm am besten entspricht.
Grundsätzlich ist immer ein niveaugleicher Einstieg auf der gesamten Haltestellenlänge (Haltekante) anzustreben. Dazu wird eine Haltekantenhöhe von 22 cm benötigt. Im Siedlungsraum sind die baulichen Voraussetzungen für eine hohe Haltekante auf der ganzen Länge nicht immer erfüllt, z.B. bei Gebäudezufahrten, Kurvenradien und engen Platzverhältnissen.
Ist aus Gründen der Verhältnismässigkeit kein niveaugleicher Einstieg auf der ganzen Länge möglich, muss immer die bestmögliche abweichende Lösung realisiert werden:
- Verschiebung der Haltestelle
- Teilerhöhung („Kissenlösung“) im Bereich der Manövrierfläche auf 22 cm
- Haltekante von mit einer Höhe von 16 cm für den Einstieg mit Rampe
- Teilerhöhung („Kissenlösung“) im Bereich der Manövrierfläche auf 16 cm.
- Bestehender Randabschluss 3 – 10 cm Höhe oder keine Kante
Neben der Höhe und der Länge der Haltekante sind auch die Tiefe des Warteraums sowie die Auffindbarkeit für Sehbehinderte zu berücksichtigen.
Bei der Sanierung von Bushaltestellen in der Stadt Schaffhausen wird die jeweilige Situation separat anhand eines Planungsprozesses beurteilt, der sich auf die gesetzlichen Anforderungen und Normen stützt. Die bestehende Geometrie der Haltestelle, die Funktion der Strasse gemäss kommunalem Strassenrichtplan, die Verkehrsbelastung bzw. Frequenz und die lokalen Rahmenbedingungen fliessen bei der Festlegung der Bestvariante mit ein. Zudem wird beurteilt, ob die technische Umsetzung verhältnismässig ist.
Die Verhältnismässigkeit ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen. Gemäss Art. 11 des BehiG ist bei der Beurteilung der für Behinderte zu erwartende Nutzen im Verhältnis zum wirtschaftlichen Aufwand, zu Interessen des Umweltschutzes sowie des Natur- und Heimatschutzes sowie zu Anliegen der Verkehrs- und Betriebssicherheit abzuwägen.
Mit Fahrbahnhaltestellen soll der Verkehr nicht behindert werden. Bis zu einem durchschnittlichen Tagesverkehr (DTV) von circa 8´000 – 10´000 Fahrzeugen sind Fahrbahnhaltestellen aus verkehrlicher Sicht i.d.R. unproblematisch. Bei höherem Verkehrsaufkommen sind Busnischen zu prüfen und vorzusehen, wenn technisch machbar und verhältnismässig. Bei der Sanierung von bestehenden Busbuchten wird auch bei geringer Verkehrsbelastung unter Berücksichtigung der Verhältnismässigkeit geprüft, ob die Busbucht trotz den Vorgaben zum hindernisfreien Ausbau bestehen bleiben kann.
Zur Situation an der «Buchthalerstrasse»
Wie bereits in der Antwort zur Kleinen Anfrage zu diesem Thema erläutert, ist es bei der Haltestelle «Buchthalen Post» technisch nicht möglich, eine funktionierende Haltestelle mit einer 22 cm hohen Haltekante in der Busbucht zu realisieren. Da diese in der Kurve liegt wird die Problematik noch verschärft und der Bus kann nicht nah genug an die Kante fahren. Zu berücksichtigen ist, dass auf der Linie 5 künftig ein Gelenkbus zum Einsatz kommen soll, so dass auch eine Haltekante von 16 cm verschoben werden müsste. Der Bau der Haltestelle mit einer Einstiegshöhe von 22 cm und die damit verbundene Verschiebung in die Fahrbahn werden im Kontext der Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes sowie der örtlichen Situation (insbesondere bezüglich Sicherheit der Fussgänger-Überquerungen) als verhältnismässig beurteilt.
In Abwägung der entgegenstehenden Interessen hat der Stadtrat den autonomen Zugang für Behinderte höher gewichtet als eine uneingeschränkte Verkehrsführung. Dies unter Berücksichtigung, dass das Warten nur den Verkehr talwärts betrifft, der Bus tagsüber nur alle 10 Minuten und abends alle 20 Minuten verkehrt und eine Verzögerung nur entsteht, wenn der Bus bei der Haltestelle halten muss. Die gewählte Vorgehensweise entspricht auch den Empfehlungen des Leitfadens «Barrierefreie Bushaltestellen» vom Verband öffentlicher Verkehr.
Zur Situation in «Herblingen»
Bei der Erstellung neuer Bushaltestellen wird die Möglichkeit von Busnischen jeweils geprüft. Im städtischen Kontext ist es jedoch eine grosse Herausforderung, die entsprechenden Flächen zu sichern, ohne privates Eigentum zu stark zu beanspruchen. Bei der Endhaltestelle konnte die Stadt das notwendige Land erwerben, da sie ausserhalb aber direkt anschliessend an das heutige Siedlungsgebiet liegt. Die neuen Bushaltestellen «Im Höfli» und «Unterdorf» an der «Thayngerstrasse» wurden jedoch als Strassenbahnhaltestelle konzipiert, weil der Platz hier ebenso fehlte wie an der «Neutal- und Stüdliackerstrasse», wo zusätzlich je eine Haltestelle Richtung Zentrum notwendig wird.
Fazit
Der Stadtrat anerkennt die unterschiedlichen Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmenden und ist bestrebt, diese jeweils bestmöglich zu berücksichtigen. Als Leitlinie dienen die gesetzlichen Vorgaben und Normen, die Situation ist jedoch immer im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu prüfen. Deshalb wäre weder ein genereller Verzicht auf Busnischen noch eine generelle Erhaltung zielführend und der Stadtrat beantragt, das Postulat abzulehnen.